Weihnachtsgeschichte
von Gerda Renatus
Sehnsucht nach Weihnachten im Erzgebirge
Jedes Jahr zur Weihnachtszeit erinnere ich
mich als Jetzt-Berlinerin an meine Kindheits-
Erlebnisse im Erzgebirge. Die Weihnachtszeit
war damals etwas ganz Besonderes.
Der erste Eindruck am 24. Dezember war:
„E Racherkarzl“ stand schon am Morgen
angezündet auf einem Teller in der bäuerlichen
Küche und verströmte einen atem-
beraubenden Duft.
Meine Mutter holte am Vormittag einen von
den 12 Stollen aus der kleinen „Überstub“,
Butter wurde ausgelassen und der verklumpte
Staubzucker durch ein Sieb gerieben. Ich durfte
nach dem Einbuttern und Einzuckern des
Stollens die auf das Pergamentpapier
runtergelaufene Butter mitsamt dem Zucker
ablöffeln. Ein Genuss. Beim Nachmittagskaffee
wurde dann zum ersten Mal der Stollen
angeschnitten.
Mein Vater holte die Kisten mit dem
Weihnachtsbaumschmuck vom Boden. Die
frisch aus dem Wald geholte Fichte, unser
Tannenbaum, die bis zum „Heilig’n Ohmd“
noch in der Scheune stand, wurde ins Warme
geholt. Am Nachmittag „putzte“ mein Vater
den Baum an. Er wollte immer den schönsten
Baum in der Familie und von allen
Dorfbewohnern haben. Beim Schmücken des
Baumes galt es besonders die Aluminium-
Silberfäden zu glätten und gleichmäßig und
kunstvoll auf dem Baum zu verteilen. Dafür war
meine kindliche Fingerfertigkeit gefragt. Nach
dem Anhängen der Kugeln wurden die Tüllen
für die echten Kerzen in geordneten Abständen
befestigt. Zwischendurch bereitete meine
Mutter für den Vater einen Grog mit viel Rum.
Ich bekam einen Kakao. Nach dem Schmücken
wurde der Baum noch so lange gerückt bis er
die beste Ansicht bot.
Sehr gern möchte ich in diesen Advents- und
Weihnachtstagen noch an einige Traditionen
aufmerksam machen, die mich an dieses Fest in
meiner Kindheit erinnern. Noch in der Nase
habe ich den wunderbaren Duft von
Räucherkerzen, Bratäpfeln und der
vorbereiteten Speisen für Mittag und Abend.
Einfach herrlich.
Am schönsten in der Winter- und
Weihnachtszeit waren für mich die Eisblumen
an den Fenstern. Mit meinen Kinderfingern
kratzte ich an den gefrorenen Fenstern den
„Eispelz“ ab, und es entstanden danach immer
wieder neue schöne Eisblumen. So etwas gibt
es nicht mehr in den heute ferngeheizten und
gut gewärmten Räumen. Wie schade.
Drei Jahrzehnte erlebte ich ausschließlich
Berliner Weihnachten. Zunehmend bekam
dieses Fest in Berlin einen amerikanischen
Hauch von Konsumorientiertheit. Die grellen
Beleuchtungsfarben der Lichterketten in den
Fenstern wirkten auf mich sehr befremdend.
Wie kann man sich bei diesen bunten Farben zu
Weihnachten wohlfühlen? Allerdings gibt es
auch etwas Schönes in Berlin: Mit wirklich
weißem Licht leuchten seit Jahren tausende
Lämpchen an den Bäumen in der Straße Unter
den Linden und am Kudamm. Dieses Leuchten
ist immer noch ein Highlight für Berliner und
Touristen. Und es gefällt mir auch.
Mir fehlen allerdings immer mehr, die
bezaubernde Adventszeit und die
Erzgebirgsweihnacht mit den traumhaft schön
beleuchteten Fenstern in der Dunkelheit der
Berge und Wälder und den handwerklich
hergestellten Pyramiden, den Engeln,
Bergmännern, Nussknackern und
Schwibbögen, die auf den Marktplätzen
standen. Wunderschön, wenn deren Lichter im
Schnee wie Sterne tanzten. Die Häuschen auf
den Weihnachtsmärkten in Berlin mit den
angebotenen Artikeln der Handwerker aus den
zahlreichen „Spelzeigderfern“ des Erzgebirges
oder von Käthe Wohlfahrt aus Rothenburg ob
der Tauber können diese heimatliche
Atmosphäre nicht ersetzen. Dazu kommt noch,
dass jedes Jahr immer weniger Fenster in den
Berliner Wohnhäusern der Innenstadt
weihnachtlich geschmückt werden. So sorge
ich wenigstens dafür, dass Schwibbögen aus